Analyse & Kritik

Journal of Philosophy and Social Theory

Kosten-Nutzen-Analyse und Umweltgüter / Cost-Benefit Analysis and the Environment


1994 (16) Issue 2

Editorial

Die Kosten-Nutzen-Analyse ist eine in den verschiedensten Bereichen der Politik angewandte Methode, um bürokratische und planerische Entscheidungen zu unterstützen. In ihren wissenschaftlichen Grundlagen entstammt die Kosten-Nutzen-Analyse der Ökonomie. Ihre Verwender verfolgen die Absicht, die Theorie des idealen Marktes auf solche Güter und ihre Nutzung zu erweitern, für die es keinen realen Markt gibt. So sollen öffentliche Güter, wie etwa die natürliche Umwelt, mit Hilfe der Kosten-Nutzen-Analyse unter denselben Effizienz- oder Pareto-Optimalitäts-Bedingungen betrachtet werden, wie sie idealerweise für das Marktgeschehen gelten. Wie im realen Marktgeschehen sollen die Präferenzen der von politischen Entscheidungen Betroffenen die ausschlaggebende Rolle spielen. Sie werden entweder über Daten in anderen Marktbereichen indirekt erschlossen oder anhand der Zahlungsbereitschaft direkt ermittelt. Die Kosten-Nutzen-Analyse erstellt auf dieser Grundlage eine Kurve von pareto-optimalen Entscheidungsoptionen und liefert so ein Paket von Handlungsstrategien, von denen Planer und Politiker Gebrauch machen können.

Kritiker lehnen eine universelle Verwendung der Kosten-Nutzen-Analyse ab. Bei vielen Entscheidungen sei diese Methode teils empirisch und methodisch überfordert, teils auch normativ unangemessen. Vor allem Güter wie Gesundheit, Leben oder intakte Natur könnten und sollten einer Bewertung in Geld nicht zugänglich gemacht werden. Zusätzliche politisch orientierte Einwände gegen stellvertretendes Entscheiden, Expertenkultur oder Entpolitisierung treffen sich mit Warnungen vor der Illusion globaler Steuerbarkeit.

Die Artikel dieses Hefts unternehmen auf dem Hintergrund dieser vorwiegend in der angelsächsischen Literatur geführten Auseinandersetzung den Versuch, die Brauchbarkeit und Grenzen der Kosten-Nutzen-Analyse zu bestimmen.

John Broome unterscheidet zwischen einer unstrukturierten Form der Kosten-Nutzen-Analyse, in der die relevanten Präferenzen nur aggregiert werden, und einer strukturierten Version, in der die festgestellten Präferenzen verschiedenen Anforderungen unterworfen werden, insbesondere Rationalitätsmaximen. Broome versucht aber zu zeigen, daß die Wahl zwischen diesen zwei Analyseformen über eine Option für oder gegen Rationalität hinausgeht und einen Konflikt zwischen demokratischer Entscheidungsfindung und stellvertretender Planung enthält. Broome plädiert für eine strukturierte Kosten-Nutzen-Analyse im Rahmen einer stellvertretenden Planung, wobei er allerdings besser ausgearbeitete normative Grundlagen für notwendig hält.

John Foster kritisiert die Anwendung der Kosten-Nutzen-Analyse auf Umweltprobleme. Eine ausschließlich an Präferenzen orientierte Entscheidungsfindung sei der Werthaltigkeit der Natur nicht angemessen. Die Alternative sieht er in der Übereinstimmung zwischen möglichst 'aufmerksamen' Entscheidern, die in einer sorgfältigen Betrachtung von Konflikten eine 'kreative Bewertung' erarbeiten. Foster schildert die Details einer solchen, auf qualitative Beobachtung anstatt Präferenzenermittlung zurückgehenden Bewertungsweise, die sich mit Thesen der Tiefenökologie (deep-ecology) berührt, ohne allerdings wie diese von einem Eigenwert der Natur auszugehen.

Die Frage nach der Kommensurabilität verschiedener Werte in einer Kosten-Nutzen-Analyse steht auch im Mittelpunkt des Beitrags von Peter Schaber. Wie er zeigt, entstehen in einer subjektiven Werttheorie Schwierigkeiten des Wertevergleichs bereits bei der Bildung individueller Präferenzordnungen und verschärfen sich bei intersubjektiven Vergleichen. Schaber gelangt zu dem Ergebnis, daß politische Verfahren, wie beispielsweise Bürgerforen, die Kosten-Nutzen-Analyse bei Entscheidungen von öffentlicher Bedeutung, etwa in der Gesundheits- und Umweltpolitik, ersetzen sollten.

Douglas MacLean nimmt das Argument auf, wonach bestimmte ,heilige, oder absolute Güter einer Kosten-Nutzen-Analyse nicht nur prinzipiell unzugänglich sind, sondern eine solche Bewertungsmethode diese Güter zu verändern oder zu zerstören droht. MacLean bezieht sich zunächst auf den privaten Bereich und erörtert die Angemessenheit einer utilitaristischen Position. Anschließend erweitert er seine Überlegungen auf ökologische Konflikte. Eine Konsequenz seiner Argumente besteht darin, daß bestimmte Naturgüter aus moralischen Gründen der ökonomischen Bewertung entzogen werden müssen.

Die Anwendung der Kosten-Nutzen-Analyse auf das Phänomen der Klimaveränderung ist Thema des Aufsatzes von Clive L. Spash. Er versucht zu zeigen, daß eine solche Anwendung bisher an mindestens drei Schwierigkeiten scheitert: an dem Problem der Unsicherheit, der lexikographischen Ordnung von Umweltpräferenzen und der Berücksichtigung der Rechte zukünfiger Generationen. Außerdem scheint schon die Dimension einer planetaren Klimaveränderung jede objektive Einschätzung zu überfordern. Spash schlägt vor, die internationale Umweltpolitik an Menschenrechten anstatt an der Kosten-Nutzen-Analyse zu orientieren.

John O'Neill konfrontiert die Kosten-Nutzen-Analyse mit dem Public-Choice-Ansatz. Der Public-Choice Ansatz enthalte mit seiner Annahme egoistischer Akteure zwar eine realistischere Einschätzung des politischen Geschehens als die Kosten-Nutzen-Analyse mit ihrer Prämisse einer wohlfahrtsmaximierenden Bürokratie. Dennoch sei der Public-Choice Ansatz dem 'klassischen Institutionalismus' unterlegen, da dieser berücksichtige, daß Präferenzen wesentlich durch Institutionen geformt werden. Die Aufgabe der Umweltpolitik besteht O'Neill zufolge deshalb darin, mit normativen Argumenten die geeigneten politischen Institutionen zu begründen.

Die Artikel und Kommentare des vorliegenden Hefts wurden zuerst im Rahmen eines Workshops Cost-Benefit Analysis and the Environment vorgetragen, der im Herbst 1994 am Philosophischen Seminar der Universität Zürich stattfand. Peter Schaber hat zu der Planung dieser Tagung sowie des vorliegenden Hefts wesentlich beigetragen.

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Table of Contents

Title: Structured and Unstructured Valuation
Author: John Broome
Page: 121-132

Abstract: Economists can value things for cost-benefit analysis using either a structured or an unstructured approach. The first imposes some theoretical structure on the valuation; the second does not. This paper explains the difference between the approaches and examines the relative merits of each. Cost-benefit analysis may be aimed at finding what would be the best action, or alternatively at finding which action should be done in a democracy. The paper explains the difference, and argues that the appropriate aim is the first. Given that, it comes down in favour of the structured approach to valuation. As an example, it discusses different approaches to valuing life in economics.

Title: Beyond Costs and Benefits: Weighing Environmental Goods
Author: John Foster
Page: 133-149

Abstract: A teleological approach to deciding how we should act underlies the attempted extension of neo-classical economics to environmental issues, with its emphasis on comparative valuation in monetary terms. Such an extension fails because, in the environmental sphere, there are powerful reasons for denying commensurability of the relevant values. But this denial then tends to undercut any weighing of environmental goods. In response to this difficulty, the paper seeks to develop an account of the weighing of goods which would enable us to recognise value as a human creation, while also grounding it in an ecological unity with the wider life of nature.

Title: Comment on John Foster
Author: Anna Kusser
Page: 150-152

Abstract: Modern environmental thought is characterized by a paradox. The value of environmental goods seems to transcend all purely human values. At the same time environmental goods have to be placed within an overall ranking if there is to be rational environmental policy. It is argued that John Foster's concept of value-judgement cannot solve this paradox.

Title: Sind alle Werte vergleichbar? Kosten-Nutzen-Analyse und das Inkommensurabilitätsproblem
Author: Peter Schaber
Page: 153-165

Abstract: Are the values of different options and goods, as cost-benefit analysis assumes, commensurable? Not always. The incommensurability of certain options is based on the fact that preferences are sometimes not rankable, even if the agent is fully informed about the options in question. In addition, even if all values were commensurable they could not be compared in monetary terms. If this is the case, cost-benefit analysis should not be seen as a decision procedure.

Title: Cost-Benefit Analysis and Procedural Values
Author: Douglas MacLean
Page: 166-180

Abstract: One argument against using cost-benefit analysis to justify policies aimed at promoting human life and health or protecting the environment is that it requires putting a price on priceless goods. This distorts the value of these goods, and it can affect their value by cheapening them. This argument might be rejected by a moral consequentialist who believes that a rational agent should always be able to reflect on his values, even priceless goods, and assess their costs and their importance. This article defends the argument against cost-benefit analysis and suggests that a proper understanding of priceless goods shows that they also raise difficulties for consequentialist moral theories.

Title: Comment on Douglas MacLean
Author: Anton Leist
Page: 181-185

Abstract: Some goods cannot, according to MacLean, be dealt with adequately by cost-benefit analysis. An explanation for this thesis is given, linking these goods to the altruism implied in intimate social relations. MacLean's argument is then shown to be insufficient when extended to matters of public relevance. The integration of political values and economic costs should be possible, on a level doing justice to both.

Title: Trying to Find the Right Approach to Greenhouse Economics. Some Reflections upon the Role of Cost-Benefit Analysis
Author: Clive L. Spash
Page: 186-199

Abstract: The approach to controlling greenhouse gas emissions suggested by simple neo-classical economic models has appeared in prominent mainstream journals. This entails weighing up the costs of control compared to the benefits of avoiding damages due to global climate change. This paper presents a critique of extending the microeconomic project based methodology to a complex global problem; raising issues of uncertainty and ignorance. An alternative to simple utilitarianism is seen to be necessary and the potential of a deontological approach is argued to be greater with regard to policy decisions concerning future generations.

Title: Comment on Clive L. Spash
Author: Georg Erdmann
Page: 200-201

Abstract: The basic message put forward by Spash is sound, namely that cost-benefit analysis (CBA) can hardly be used to address the question of how much money society should optimally spend in order to avoid greenhouse gas (GHG) emissions. However, the points in Spash's paper against the use of CBA for the GHG assessment vary in their significance.

Title: Preferences, Virtues, and Institutions
Author: John O'Neill
Page: 202-216

Abstract: Public choice theory presents itself as a new institutional economics that rectifies the failure of the neo-classical tradition to treat the institutional dimension of economics. It offers criticism of both neo-classical defenders of cost-benefit analysis and their environmental critics. Both assume the existence of benign political actors. While sharing some of its scepticism about this assumption, this paper argues that the public choice perspective is flawed. The old institutionalism of classical economics provides a better perspective to examine both explanatory and normative problems occasioned by environmental problems than does the new institutionalism, raising significant questions about the relationship between environmental goods, virtues and institutions which have been lost to recent discussion.

Title: Comment on John O'Neill
Author: Rudolf Schüßler
Page: 217-219

Abstract: The comment focusses on O,Neills advocacy of Classical Institutionalism (CI) and the problems of the ideal-regarding approach to the construction of institutions. It maintains that CI shows no signs of progress which would justify a renewed exclusive interest in this paradigm and that the ideal-regarding approach needs some consequentialist balancing to avoid obvious risks of totalitarian denaturation.